Mit 2022 ist ein fraglos turbulentes Jahr zu Ende gegangen. Anfangs sprach vieles dafür, dass sich die Märkte mit dem Post-Corona-Neustart wieder normalisieren. Doch mit der russischen Invasion, die Putin am 24. Februar 2022 startete, waren die Wachstumsprognosen rasch obsolet. Seither ist der Weltmarkt von konjunkturellen Unsicherheiten und hoher Inflation geprägt. Gleichzeitig erleben wir einen Zinsanstieg, wie wir ihn seit mehr als einem Jahrzehnt nicht erlebt haben. Mit Stefan Pihaule, Leiter Vertriebsunterstützung der Naspa, und Thomas Wirth, Leiter Private Banking der Region Bad Schwalbach/Rheingau, schauen wir uns dieses außergewöhnliche Jahr noch einmal an und wagen einen behutsamen Ausblick auf das Jahr 2023.
Herr Pihaule, Herr Wirth, für Anlegerinnen und Anleger war 2022 ein eher kompliziertes Jahr. Was waren die auffallendsten Umstände auf dem Kapitalmarkt 2022?
Stefan Pihaule: Markant war sicherlich, dass die beiden größten Assetklassen, die eigentlich in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen – Aktien und Renten –, im Gleichschritt Kursrückgänge verzeichneten, wie sie in der Historie selten waren: zeitweise bis zu 20 Prozent. Wir sind also hoch positiv korreliert in eine negative Situation gefahren. Das beunruhigte natürlich viele Anlegerinnen und Anleger.
Thomas Wirth: 2022 war voller Wellen-Bewegungen; deutlich zu sehen im März, Mai, Juli oder August – im Gleichklang schwang mit jedem Hoch die Hoffnung, das sich der Markt wieder stabilisiert. Es blieb jedoch volatil. Eine ideale Aufstellung mit wirklich guter Performance war 2022 kaum möglich.
Stefan Pihaule: Zusätzlich schwächelte auch der Euro – auch wenn er sich zwischenzeitlich wieder auf einem stabilen Niveau bewegt. Das belastete die Wertentwicklung von in Euro betrachteten Wertpapieren und war dadurch natürlich europaweit zu spüren.
Die Jahresberichte 2022 werden insgesamt nicht gerade glänzen. Das wird viele Anlegende frustrieren. Wie gehen Sie damit um?
Stefan Pihaule: Es wäre zu kurz betrachtet, wenn wir nur auf das Jahr 2022 schauen würden. Die mittelfristige Entwicklung ist hier schon interessanter und entspricht auch unserer Beratungsphilosophie. Denn da zeigt sich, dass man gerade mit Aktien sehr gut durch die letzten Jahre, die „Nullzinsjahre“, gekommen ist. Deshalb: Wenn man einen längerfristigen Anlagehorizont hat, stehen die Chancen gut, mit Aktien auch zukünftig eine gute Performance zu generieren. Wobei das Risiko von Kapitalverlusten oder Preisschwankungen hier nicht unerwähnt bleiben darf.
Im Jahr 2022 haben wir einen historischen Leitzinsanstieg erlebt. Macht sich dies in der Vermögensberatung bemerkbar?
Thomas Wirth: Wir merken, dass neue Depots eröffnet werden. Mit kaum vorhandenen Renditen waren festverzinsliche Assets, wie Anleihen, quasi ausgelaufen. Im Vergleich: Bis vor zehn Jahren waren durchschnittlich etwa 20 bis 25 Prozent eines Portfolios im Anleihen-Segment investiert. Mittlerweile steigen die Renditen wieder und da bei deutschen Anlegerinnen und Anlegern das Sicherheitsbedürfnis relativ hoch ist, erleben wir wieder eine erhöhte Nachfrage im festverzinslichen Anlagebereich. So gibt es auch wieder Zinsen auf Spareinlagen. Aus diesem Grund halten wir für unsere Kundschaft auch ein breites Angebot über verschiedene Laufzeiten bei Anleihen vor.
Stefan Pihaule: Allerdings sind wir vorsichtig bei der Prognose in Bezug auf die weitere Zinsentwicklung. Es kann gut sein, dass die Leitzinsen nächstes Jahr ihren Peak erreichen. Die interessante Frage wird dann sein: Wird der Zins unabhängig von den Notenbanken weiter steigen? Dies ist, Stand jetzt, jedoch nicht unsere grundsätzliche Erwartungshaltung. Die Zinsstrukturkurven – das Abbilden der verschiedenen Renditen bezogen auf die Laufzeit – verlaufen aktuell sehr flach und könnten sich zukünftig auch invers entwickeln. Wir sehen, dass man für eine zweijährige Laufzeit nicht mehr oder weniger Rendite als für fünf oder acht Jahre erhält. Im Grunde genommen gibt es also keine Risikoprämie mehr dafür, dass man längerfristig investiert.
Thomas Wirth: Sollte sich die Wirtschaft bei einer drohenden Rezession schnell erholen, wird die Notenbank keine weiteren großen Zinsschritte nach oben durchsetzen können. Die Zinsen werden also nicht unbedingt steigen. Deshalb wäre „abwarten und auf höhere Zinsen hoffen“ so ähnlich wie zu versuchen, am Aktienmarkt des tiefsten Einstiegspunkt zu erwischen. Das wäre mit sehr viel Glück verbunden.
Stefan Pihaule: Daher kann es ratsam sein, stufenweise in den Kapitalmarkt einzusteigen.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel und fragen nach Zinsentwicklung, Wirtschaftsentwicklung und interessanten Anlagemöglichkeiten im Jahr 2023.
Stefan Pihaule: In puncto Zinsentwicklung gehen wir, wie gesagt, davon aus, dass die Bewegung eher moderat sein wird. Auf Basis der Aussagen verschiedener Notenbank-Gouverneure1 wird vermutet, dass die amerikanische Notenbank ihren Leitzins bis auf ca. 5,1 Prozent erhöhen wird und dann ist erstmal die Luft raus. Dasselbe kann auch in Europa passieren, sofern es zu keiner größeren Rezession kommt. Doch auch wenn wir vielleicht relativ milde durch eine Rezession kommen, werden wir von steilem Wachstum noch weit entfernt sein. Ich glaube, die wirtschaftliche Situation mit ihren Unsicherheiten – vor allem im globalen Kontext – wird sich nicht so schnell auflösen. Das bedeutet eine gewisse Erholung, vielleicht weniger Rezessionsszenarien, aber unter hohen Schwankungen.
Wie blickt die Naspa auf das Finanzjahr 2023?
Stefan Pihaule: In der aktuellen Situation lässt sich nicht treffsicher sagen, was 2023 bringen wird. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass man durch Krisenphasen kommen kann. Denn Unsicherheitsfaktoren gab es immer wieder einmal. Ob Ölkrise, Kuwait-Krieg, Tech-Blase oder Schuldenkrise.
Thomas Wirth: Natürlich können wir nicht vorhersehen, was zwischen Russland und der Ukraine geschieht und wie die globalen Märkte reagieren werden. Daher richten wir die Vermögensallokationen breit aus – immer im Sinne der Kundinnen und Kunden und im Sinne ihrer individuellen Risiko-Neigung. Der Jahresbeginn ist ohnehin ein guter Zeitpunkt für einen Depot-Check. Diesen bieten wir gerne für unsere Private Banking-Kundinnen und -Kunden auch außerhalb des halbjährlichen Turnus an. Gerade in stark bewegten oder unsicheren Phasen merken wir, wie wichtig der regelmäßige Kontakt zur persönlichen Beraterin oder zum persönlichen Berater ist. Sehr intensiv haben wir das in den letzten beiden Jahren während der Pandemie erlebt: Der persönliche Austausch beruhigt und gibt vielen unserer Kundinnen und Kunden Sicherheit.
Wie sollten sich Anlegerinnen und Anleger für 2023 aufstellen?
Stefan Pihaule: Wir empfehlen ein strukturiertes Gespräch mit der Beraterin oder dem Berater mit Blick auf eine breite und ganzheitliche Vermögensaufstellung. Hierbei streifen wir automatisch den Aspekt eines sinnvollen Einstieges in den Kapitalmarkt. Auch eine Diversifizierung in verschiedene Währungen kann eine Möglichkeit sein. Bei Devisen sollten jedoch Risiken wie beispielsweise Wechselkurs- und Zinsschwankungen bedacht werden. Weiterhin können Immobilieninvestments konservative Anker sein, welche diversifizieren und Schwankungen ausgleichen können. Berücksichtigt werden sollten bei dieser Anlageform wertbeeinflussende Faktoren wie die Infrastruktur, die den Immobilienwert mindern können.
Thomas Wirth: Bei liquiden Immobilieninvestments gilt: Ein qualitativ hochwertiges Management, das die Märkte im Blick hat, in guten Lagen investiert und im richtigen Moment handelt, wird Schwankungen gut abfedern können. Doch sollte erwähnt werden, dass sich etwaige sinkende Immobilienpreise möglicherweise auf die Kursentwicklung auswirken oder dass Erträge ausbleiben können.
Was lässt sich über die Entwicklungen der Rohstoffe sagen?
Stefan Pihaule: Hier wird zwischen dem Energiesektor und den Industriemetallen unterschieden. Letztere sind an die Konjunktur gekoppelt – das heißt, flaut die Konjunktur ab, stagnieren die Preise für Industriemetalle und umgekehrt. Die Energiepreise von Gas und Öl stehen aktuell stark im Fokus, da die Nachfrage entsprechend hoch ist und das Angebot knapp. Investments sollten daher gut abgewogen werden, doch können sie bei einem breit aufgestellten Portfolio einen ergänzenden Baustein darstellen. Zu beachten ist, dass diese Anlage unter anderem starken Schwankungen ausgesetzt sein kann und dass die Rohstoffpreise traditionell in USD angegeben sind und somit sowohl Währungschancen als auch -risiken mit sich bringen können.
Thomas Wirth: Abschließend legen wir unseren Kundinnen und Kunden ans Herz: Lassen Sie sich in diesen bewegten Zeiten nicht aus der Ruhe bringen, sondern nutzen Sie die Gelegenheit, mit Ihrer Private Banking-Beraterin oder Ihrem Private Banking-Berater in den Austausch zu gehen.
Schauen Sie sich gerne ergänzend – oder im Vorfeld Ihres Termins – zu Themen, die Sie interessieren, auf unserer Dossier-Seite um.
Disclaimer:
Die vorstehenden Angaben und die Darstellungen stellen keine Anlage-, Rechts- oder Steuerberatung dar. Die Informationen sind weder ein Angebot noch eine direkte oder indirekte Empfehlung für den Erwerb oder die Veräußerung von Wertpapieren oder sonstigen Finanzinstrumenten und ersetzen nicht eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung. Sie dienen ausschließlich Ihrer Information. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Emittenten oder Wertpapiere erwähnt werden. Bei Bedarf setzen Sie sich deshalb bitte mit Ihrer zuständigen Beraterin oder Ihrem Berater in Verbindung. Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Marketingmitteilung i. S. d. WpHG. Die hier enthaltenen Aussagen geben unsere aktuelle Einschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung wieder. Diese kann sich jederzeit ohne Ankündigung ändern.
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