Biodiversität auf dem Firmengelände
Klimaschutz und CO₂-Reduktion stehen im Zentrum der Diskussion über Nachhaltigkeit. Dabei wird ein weiterer wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit oft vernachlässigt: die Biodiversität. Ohne eine Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen können Ökosysteme ihre grundlegenden Funktionen – wie die Bereitstellung sauberer Luft, die Regulierung des Wasserhaushalts und die Fruchtbarkeit der Böden – nicht erfüllen. Auch wenn die Wirksamkeit von Maßnahmen in diesem Bereich deutlich schwerer zu messen ist, können Unternehmen hier viel tun. Tom Junge, Geschäftsführer der ImmerLand Gruppe in Frankfurt, sucht neue Wege, wie Unternehmen und Kommunen durch konkrete Maßnahmen vor unserer Haustür für mehr Artenvielfalt sorgen können.
Warum ist es wichtig, beim Thema Nachhaltigkeit auch über Biodiversität zu sprechen?
Tom Junge: Die Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen als solche sind unsere Nahrungsgrundlage. Ohne eine intakte Landwirtschaft, ohne intakte Ökosysteme, würde unser Teller leer bleiben und deswegen ist es so wichtig, dass wir uns auch genau um diesen Themenbereich kümmern. Die Biodiversität ist eigentlich viel drastischer im Verlauf, denn ein Klimawandel, an den können wir uns als Menschen anpassen, den würden wir überleben. Die Biodiversitätskrise, wie sie uns gerade entgegenläuft, nicht. Die Krefelder Studie ist eine sehr ausschlaggebende und interessante Studie, die tieferen Einblick in das Geschehen der Biodiversität gibt. Als Referenz: Wir haben knappe 80 % unserer Artenvielfalt in Deutschland über die letzten 30 Jahre verloren. Der ein oder andere freut sich vielleicht darüber, weil dann die Windschutzscheibe sauber bleibt. Man kann sich das aber im Grunde vorstellen wie ein Motor, wo einzelne Teile aus dem Motor auf einmal verschwinden, und schon läuft der Motor nicht mehr rund. Und das ist gerade, was wir erfahren. Genau deswegen brauchen wir diese Lösungen, an denen wir gerade arbeiten.
Tom Junge Geschäftsführer ImmerLand GmbH |
Sie entwickeln Ideen, wie Unternehmen vor Ort, zum Beispiel auf dem eigenen Firmengelände, etwas für die Biodiversität tun können. Was ist da der Ansatzpunkt?
Tom Junge: Grundsätzlich geht es darum, dass man erst mal das, was vorhanden ist, kartiert und sich die Bestandsvegetation anschaut. Denn oftmals findet man auf solchen Flächen schon teilweise ökologische, wertvolle Spots und dann wird ein Maßnahmenkatalog aufgestellt, der beinhaltet, dass gezielt für dieses Grundstück Maßnahmen entwickelt werden, wie zum Beispiel eine Blühfläche, die dort angelegt wird mit gebietseigenen und typischen Arten, die wirklich in die Vegetation vor Ort passen. Oder, dass man eine Streuobstwiese anlegt, ein Sandarium anlegt - das ist wie ein kleines Sandbecken, wo Wildbienen im Boden nisten. Durch verschiedene gezielte Maßnahmen, wie zum Beispiel auch Wandbegrünung oder Zaunbegrünung wird das Grundstück möglichst divers gestaltet und so schafft man nicht nur ein Habitat für verschiedene Insekten und Kleinsäugetiere, sondern zeitgleich auch durch die verschiedene Vegetation, die auf dem Grundstück ist, ein viel reicheres Spektrum an Versickerungsmöglichkeiten für Wasser. Es gibt also nicht immer nur die eine, klassische Maßnahme, die man dann auf jedem Grundstück umsetzen kann, sondern das hängt wirklich vom Bodentyp, vom Lichteinfall und dem Standort jedes einzelnen Grundstücks ab. Wir maßschneidern dann aus unserem Katalog die Maßnahmen, die zu dem Grundstück passen.
Am Kurfürstenplatz gestaltet das Team die Grünfläche neu.
In Gewerbegebieten findet man oft breite Rasenstreifen, die zwar pflegeleicht sind, Insekten und Kleinsäugetieren jedoch wenig Nahrung bieten.
Für Unternehmen ohne eigene passende Flächen, die sich dennoch engagieren möchten, bietet ImmerLand auch Projekte im Umland an.
Welchen Mehrwert schaffen diese Maßnahmen?
Tom Junge: Zum einen hat natürlich das Unternehmen einen Mehrwert, diese Flächen aufzuwerten. Das ist wie eine grüne Visitenkarte und man tut ja mit den eigenen Leuten was Gutes auf dem eigenen Grundstück. Zum anderen, aus ökologischer Sicht, ist es aber genau das, was wir brauchen. Ich möchte nicht sagen, dass dadurch, dass wir jetzt alle Firmengrundstücke ökologisch aufwerten, unser Problem gelöst wird. Aber diese mosaikartige Herstellung von Hotspots, vor allem auch in Industriegebieten, die dient als Vernetzungselement von verschiedenen Ökosystemen. Man kann sich das so vorstellen, das zum Beispiel von einem Waldstück über ein Firmengrundstück, das in der Mitte zu einem Feuchtbiotop liegt, Insekten quasi fliegen können, eine Pause einsetzen, Nahrung beziehen können, sich teilweise auch einnisten können. Dadurch, dass wir in Deutschland eine Urbanisierung und auch eine Vereinheitlichung von Feldstrukturen vorgenommen haben, fehlt diese mosaikartige Landschaft. Die war früher vorhanden und das ist mit einer der Gründe, warum wir in Biodiversität ein Verlust der Artenvielfalt verzeichnen.
Der andere Ursprung ist tatsächlich mit etwas über 40 % Anteil eine sehr intensive Landwirtschaft und die Nutzung von Pestiziden und Düngemitteln. Und auch dafür haben wir einen Ansatz geschaffen. Wir kooperieren in den Regionen mit Landwirten und nehmen Unternehmen, die kein eigenes Grundstück haben, an die Hand um zusammen mit Landwirten wieder derartige Flächen herzustellen.
Wie kann man denn beobachten oder vielleicht auch messen, welchen Effekt Ihre Maßnahmen haben? Das ist ja sicher spannend für Unternehmen, die das auch in ihre Nachhaltigkeitsberichte übernehmen wollen.
Tom Junge: Das funktioniert so, dass man eine kleine Fangschale an verschiedenen Punkten des Grundstücks platziert. Die Insekten, die über diese Schale fliegen, verlieren durch ihren Flügelschlag ihre DNA. Die wird dann im Labor ausgewertet. Es wird eine Artenliste erstellt und dadurch können wir genau sagen, ob wir es geschafft haben, die förderfähigen Insekten und Bestäuberpopulationen in dem Gebiet zu stärken und dort anzusiedeln oder nicht. Das ist natürlich ein schöner Ergebnisbericht für die Regulatorik, denn das sind wieder Datensätze, mit denen man arbeiten kann und ganz gezielt sagen kann, was man bewirkt hat.
Neben Zusammenarbeiten mit verschiedenen Universitäten ist das bereits in der Praxis durchgeführt worden. Es gibt dann ein Dashboard, auf dem man die Ergebnisse einsehen kann, beim CSRD Team oder in dem Nachhaltigkeitsberichterstattungsteam. Viele lange PDF Listen etc. - ich glaube das ist mittlerweile nicht mehr so gern gesehen. Also digitalisieren wir die Themen und die Ergebnisse und machen sie verwendbar.
Wir haben in Norddeutschland verschiedene große Flächen angelegt und sind in Zusammenarbeit mit Studenten der Kernfrage auf den Grund gegangen, welche Kulturen denn speziell die Spezies fördern, die auf der Roten Liste stehen. Die Rote Liste sagt quasi aus, welche Insekten Population vom Aussterben bedroht sind, also sehr gering in ihrem Bestand sind. Wir haben über verschiedene Messtechniken unsere Daten erfasst und konnten nachweisen, dass das was wir tun, auch Einfluss nimmt.
Und es gibt noch eine sehr spannende zweite Messmethode, die wir mit dem DFKI, das ist das deutsche Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz, zusammen angeschoben haben. Das Ganze nennt sich Passivakustik Monitoring. Durch ein Mikrofon, das zum Beispiel in der Blumenwiese steht, werden Herzfrequenzen der Insekten und Vögel, die vorbeifliegen, erfasst und eine KI wertet diese Herzfrequenzen aus. Man kann das ganz gut wahrnehmen, dass zum Beispiel eine Wespe einfach anders klingt als eine Mücke, wenn die in der Nähe fliegt. Das kann man geräuschlich gut unterscheiden und das kann mittlerweile auch ein Mikrofon und eine KI. Und basierend darauf können dann ebenfalls Bestandslisten erstellt werden. Und man kann ganz genau sagen, welche, welche Arten, welche Tierarten, welche Vogelarten und Insektenarten dort vorkommen.
Tom Junge über seine persönliche Motivation zur Gründung des Unternehmens.
Tom Junge über den Mehrwert ökologischer Projekte auf dem Firmengelände oder im Umland und deren positiven Einfluss auf Mitarbeitende sowie die Unternehmenskultur.
Tom Junge Geschäftsführer ImmerLand GmbH |
Was bewirken Sie – über den direkten ökologischen Effekt hinaus - mit Ihren Projekten bei den Unternehmen?
Tom Junge: Oft geht es los mit einem Spatenstich und danach folgt oft im Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitstransformation, die dann auf vielen verschiedenen anderen Ebenen vonstattengeht. Wir können die Mitarbeitenden mal vom Schreibtisch wegbewegen und das ist sehr spannend, wenn man mal verschiedene Führungspersonen mit den Mitarbeitenden draußen auf die Fläche stellt, denen ein Spaten in die Hand gibt und sagt: Wir pflanzen heute Bäume.
Teilweise entstehen Wettbewerbe. Aber vor allem sind die Mitarbeiter ein Teil der Aktion und sie haben diese Veränderungen vor der eigenen Tür selbst gestaltet. Und was machen wir dann im Nachgang? Wir führen die Maßnahmen zu Ende, stellen die fertig und gucken, dass alles fachgerecht gepflegt und unterhalten wird, sodass sie sich gut entwickeln.
Wir haben sehr, sehr viele strahlende Gesichter auf dem Weg bis jetzt gesehen. Denn man kommt morgens hin, man sieht die Veränderungen, die man geschaffen hat und man beobachtet die ganz spannend über die verschiedenen Jahreszeiten in allen verschiedenen Ausprägungen und nimmt das so ein bisschen als Motivation, das gleiche dann auch hinter der Tür, im Gebäude, im Büro mit dem Team zu machen.
2024 entstand die ImmerLand-Gruppe als Fusion aus dem Startup ImmerBunt und dem Garten- und Landschaftsbauunternehmen Landau sowie der Firma Obert aus Bad Vilbel. Das Unternehmen verbindet die Innovationskraft des 2021 gegründeten Start-ups mit den Möglichkeiten eines etablierten Betriebs. Das gemeinsame Ziel: Konkrete Naturschutzprojekte für Unternehmen und Gemeinden in ganz Deutschland anzubieten.
Tom Junge hat International Business in Groningen und Barcelona studiert. Er wuchs auf einem Bauernhof und hat sich für die Natur und Pflanzen interessiert, seit er zur Konfirmation ein Gewächshaus bekommen hat.
Wir, als Ihre Sparkasse, verwenden Cookies, die unbedingt erforderlich sind, um Ihnen unsere Website zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie Ihre Zustimmung erteilen, verwenden wir zusätzliche Cookies, um zum Zwecke der Statistik (z.B. Reichweitenmessung) und des Marketings (wie z.B. Anzeige personalisierter Inhalte) Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website zu verarbeiten. Hierzu erhalten wir teilweise von Google weitere Daten. Weiterhin ordnen wir Besucher über Cookies bestimmten Zielgruppen zu und übermitteln diese für Werbekampagnen an Google. Detaillierte Informationen zu diesen Cookies finden Sie in unserer Erklärung zum Datenschutz. Ihre Zustimmung ist freiwillig und für die Nutzung der Website nicht notwendig. Durch Klick auf „Einstellungen anpassen“, können Sie im Einzelnen bestimmen, welche zusätzlichen Cookies wir auf der Grundlage Ihrer Zustimmung verwenden dürfen. Sie können auch allen zusätzlichen Cookies gleichzeitig zustimmen, indem Sie auf “Zustimmen“ klicken. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit über den Link „Cookie-Einstellungen anpassen“ unten auf jeder Seite widerrufen oder Ihre Cookie-Einstellungen dort ändern. Klicken Sie auf „Ablehnen“, werden keine zusätzlichen Cookies gesetzt.